Rauh, kalt, unwirtlich und komplett ab vom Schuss…das ist, was wir mit dem flächenmäßig größten US Staat vorab verbunden haben. Aber nachdem wir im schönsten Sonnenschein vor etwa zehn Tagen über den Alaska Highway an der Grenze ankamen, mussten wir feststellen, dass mindestens drei dieser Attribute nicht zutreffen. Warum sollte es auch weniger grün, als im Yukon sein? Ein Meer von gelben, violetten und lila Blüten am Straßenrand liefern sich einen Kontrastbattle mit dem ungewöhnlich grellen, hellgelben Sonnenlicht, dem blassblauen Himmel, dem grellen Weiß des Permanentschnees auf den bis zu 6000 m hohen Gipfeln und dem kräftigen Grün der Tundra. Wir kamen innerhalb von mehreren hundert Kilometern durch zwei winzig kleine Ortschaften, die kaum aus mehr als Tankstelle und Lebensmittelgeschäft bestehen, vorbei an einigen Grundstücken, auf denen sich offenbar seit vielen Jahrzehnten ausgediente Pickups, Trucks und Lieferwagen stapeln.
Unser erstes Ziel war Valdez, eine größtenteils durch Fischerei geprägte Kleinstadt, etwa 150 km östlich von Anchorage. Gleich morgens am nächsten Tag ging es auf eine Bootstour zum Columbia Glacier im Prince William Sound. Captain Fred quasselte über zehn Stunden ununterbrochen über die hiesige Fisch- und Ölindustrie, Tiere und lokale Eigenheiten. Wir fragen uns, wie er und vor allem seine Crew das jeden Tag aushalten kann. Während der Überfahrt passierten wir Otter, die sich auf dem Rücken liegend im Wasser trollten, Seelöwenkolonien und wurden von Orcas begleitet. Den Fjord mit den Gletschern erreichten wir erst nach einigen Stunden. Allen Passagieren verschlug es die Sprache und selbst der Captain hält zumindest für eine halbe Stunde seine Klappe, obwohl er den Gletscher wohl jeden Tag zu sehen bekommt. Das Gefühl der Stille war einfach einmalig. Man hat in dem Moment, indem man direkt vor dem Gletscher steht, einfach keine Worte mehr. Wir glitten durch ein Meer von unzähligen tiefblauen Eisschollen in Richtung des Gletschers, dessen Front direkt ins Wasser ragt. Es klingt, wie als würde jemand einen überdimensionalen Cocktail umrühren. Es ist kalt und unbeschreiblich schön.
Die nächsten Tage verbrachten wir auf der Kenai Halbinsel, wo wir erstaunlich wenige Menschen trafen. Wir übernachteten mit Feuer an kleinen Buchten oder Gletscherseen, gingen wandern, versuchten in offenen Claims Gold zu waschen (ein kleines Krümelchen haben wir schon) und staunten immer wieder über die atemberaubende Landschaft. An einem Abend trafen wir zwei Angler am Kenai Lake bei Cooper Landing und hatten plötzlich zwei Kilo fangfrischen Sockeye Wildlachs im Kühlschrank. Jetzt werden wir uns wohl doch noch eine Angel kaufen.
Überhaupt, die Leute sind der Hammer. Wir trafen eine ältere Lady, die uns ihren mittlerweile 18-jährigen Hund vorstellte, welcher vor zwei Jahren fast schon das Zeitliche gesegnet hatte, seither aber mit CBD, einem Canabisextrakt, gefüttert wird und prächtig gedeiht. Sie meinte, seitdem verhält er sich wieder wie ein Welpe.
Vielen Einwohnern scheint recht oft langweilig zu sein. Nahezu jedes Verkehrsschild hat Einschusslöcher und wir fanden überall Patronenhülsen und teilweise auch Projektile. Das, gewürzt mit dem allgegenwärtigen Patriotismus, von dem uns oft echt übel wurde, finden wir irgendwie gruselig. Aber wenigstens gibt es überall Schilder, auf denen „Schießen verboten“ geschrieben steht. Ein Fünkchen Sicherheit, oder doch eher Selbstironie?
Der absolute Oberknaller war jedoch ein Ort namens Chicken, nahe der Grenze nach Yukon, das wir auf dem Weg über den zum großen Teil unasphaltierten Top Of The World Highway nach Dawson City passierten. Dieses Dorf hat im Winter ganze 15 Einwohner, im Sommer immerhin doppelt so viele. Am zweiten Juniwochenende wird jedoch das alljährlich stattfindende Chickenstock, ein Countrymusikfestival mit einigen hundert mehr oder weniger stark bezechten Besuchern ausgetragen. In Chicken Downtown, die lediglich aus vier Kleinstnutzgebäuden besteht (Giftshop, Liquor Store, Saloon und Café) steht ein überdimensionales Papphuhn, was gegen zwei Uhr morgens abgefackelt wird. Vor allem anderen ist Chicken aber eines: Home of the Panty Canon. Wer möchte, kann sich seine getragene Unterhose mit einer Schere vom Leib schneiden und vor dem Saloon mit einer eigens dafür entwickelten Kanone in die Luft jagen. Die übrigen Reste werden dann zusammen mit einigen Caps an die Saloondecke genagelt. Angesichts unseres doch recht übersichtlichen Vorrats an derlei Kleidungsstücken, haben wir allerdings davon Abstand genommen, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.