Wie anders diese Stadt im Winter ist. Vancouver bzw. die südliche Westküste und die vorgelagerten Inseln sind im ganzen Land die einzigen Gegenden, wo derzeit keine arktischen Temperaturen im zweistelligen Minusbereich herrschen und kein Schnee liegt, aber es regnet, bis auf ein paar Ausnahmen, seit Wochen jeden Tag Bindfäden. Unsere Klamotten sind dauerhaft nass-klamm und unsere Körper dürsten nach UV-Licht und Vitamin D. Jetzt, Mitte Dezember, ist es schon vor 16 Uhr stockfinster. Wir vermissen die Natur und die Freiheit, die wir auf der Reise in unserem Van hatten, aber angesichts der Wetterbedingungen sind wir mehr als glücklich und dankbar, dass wir bei Scott in New Westminster unterkommen konnten.
Sechs Wochen ist es nun her, dass wir mit der Fähre von Vancouver Island hier ankamen und da wir noch knapp drei Wochen Zeit bis zur Eröffnung des Weihnachtsmarktes und zum Beginn unseres Jobs auf ebendiesem hatten, schauten wir uns die Stadt und ihre Umgebung ein wenig intensiver an. Zudem mussten wir uns anfangs langsam wieder an die Zivilisation und Menschen gewöhnen. Das ist erstmal wieder eine große Umstellung gewesen.
Der Campus der University of British Columbia (UBC) liegt etwas isoliert am Westende von Vancouver und ist mit über 60.000 Studierenden und der Größe einer mittleren Kleinstadt wohl der gewaltigste, aber auch wegen seiner wunderschönen Lage am Meer und seiner weitläufigen Grünanlagen, einer der schönsten, auf dem wir jemals waren. Es gibt sogar einen universitätseigenen Nacktstrand, was für das sonst eher prüde Land doch untypisch ist. Wir können uns gut vorstellen, dass dort im Sommer interessante Partys stattfinden. Als wir dort waren, war jeder angezogen, aber wir sahen einen wunderschönen Sonnenuntergang über Vancouver Island. Vielleicht sollten wir doch noch einmal über ein Zweitstudium hier nachdenken. Allerdings wird man das wohl kaum bezahlen können.
Ein paar Tage später verschlug es uns in das Aquarium von Vancouver. Wir waren lange Zeit etwas hin- und hergerissen, ob wir den Eintrittspreis von immerhin knapp 40 Dollar pro Person bezahlen wollen, aber nachdem wir im Internet einen Gutschein über 20% gefunden haben, haben wir uns es doch gegönnt – und es hat sich wirklich gelohnt. Von außen hätten wir nicht erwartet, wie groß und vielfältig die ganze Anlage ist. Ein Großteil widmet sich der Unterwasserwelt an der Küste von British Columbia. Es gibt tausende verschiedene bunte und weniger bunte Fische, Korallen, Frösche und andere Amphibien, mehrere Quallenbecken, einen Delfin (der leider etwas einsam zu sein scheint), Robben, Seelöwen, Pinguine und Otter. Das Aquarium ist sehr auf Nachhaltigkeit und die Sauberkeit der Meere bedacht, sodass es eine große Kampagne gegen Plastikverschmutzung gibt. Die Tiere befinden sich auch alle nur auf Zeit im Aquarium zur Pflege oder Aufzucht und werden nach einiger Zeit wieder in die Wildnis entlassen. Ein wirklich schönes Projekt, an dem wir uns gern als Volunteers beteiligt hätten, nur leider schaffen wir das zeitlich nicht mehr.
Irgendwann besorgte Scott von seiner Arbeit aus Tickets für ein Eishockeyspiel der NHL zwischen den Vancouver Canucks den Dallas Stars in der Rogers Arena. Hockey ist zu dieser Jahreszeit die wichtigste Sportart im Land, und selbst Basti, der alte Sportmuffel, hatte richtig Spaß. Uns wurde vorher erklärt, dass es mitunter vorkommt, dass sich zwei Spieler aus den gegnerischen Mannschaften während des Spiels prügeln und das Spiel währenddessen pausiert wird, bis der Streit ausgetragen ist. So war es dann wenige Minuten nach Anpfiff. Ein Texaner hat mächtig aufs Maul bekommen, bis er zu Boden ging. Das ganze Stadium tobte. Ein paar Reihen neben uns verfolgte auch Bill Murray das Schauspiel. Auch ihm schien es gefallen zu haben. Leider haben die Canucks verloren, aber wir sind seit dem ein bisschen angefixt.
Neben dem Kochen von verschiedensten asiatischen Gerichten, Eislaufen, Yoga und dem Bewundern der festlichen Weihnachtsdekoration der hiesigen Häuser haben wir einige Zeit damit verbracht, unsere Brauereitour, die wir auf Vancouver Island begonnen haben, fortzusetzen. In Vancouver und der näheren Umgebung gibt es allein schon über 40 Brauereien. Alle schaffen wir natürlich nicht zu besuchen, aber es ist ein lustiger Zeitvertreib auf diese Art und Weise eine Stadt zu erkunden und Leute kennenzulernen, vor allem, wenn es immer nur regnet. Aber keine Angst, wir sind inzwischen nicht zu Alkoholikern geworden. Nach einem Bier ziehen wir meistens weiter in das nächste Etablissement und nach zwei bis drei Brauereien reicht es dann auch. Die Biere haben hier ja auch einen deutlich höheren Alkoholgehalt, als die deutschen Biere.
Am 20.11. wurde dann der Weihnachtsmarkt eröffnet und Natalie hatte gleich ihre erste Schicht. Basti fing erst einen Tag später an. Am ersten Tag war gleich die Hölle los, mit einer Schlange an unserem Haxenstand, die drei oder vier Stunden einfach nicht abreisen wollte. Sowas haben wir noch nicht erlebt. Die Leute stehen teilweise über eine halbe Stunde an, ohne zu wissen, was es überhaupt zu kaufen gibt. Es zählt die Maxime: „Hier stehen viele Leute, also muss es gut sein“. Anscheinend stehen die Leute hier total auf Schweinshaxen, vor allem Asiaten. Wir konnten das Fleisch nach drei Tagen schon nicht mehr riechen. Ansonsten ist der Weihnachtsmarkt eher mittelmäßig. Aber gut, man kann auch keinen traditionellen deutschen Weihnachtsmarkt erwarten. Es gibt nur einen Glühweinstand, dafür aber sehr viel Bier. Das „deutsche Kartoffelhaus“ ist komplett in asiatischer Hand und die Kartoffelpuffer bestehen auch frittiertem Kartoffelpüree. Die Bratwurst (heißt hier: „Das Brat“ – WTF???) kostet 8,50 Dollar und die Weißwurst („vice vursht“) am selben Stand wird auf dem Grill gebraten. Naja, sie geben sich Mühe. Immerhin Herrnhuter Sterne gab es zu kaufen. Wir haben aber gar nicht nach dem Preis gefragt. Insgesamt ist der Markt echt teuer, vor allem, weil man noch die 15 Dollar Eintritt zahlen muss. Das ist uns durch unsere Mitarbeiterbändchen zum Glück erspart geblieben
Unsere Arbeit auf dem Weihnachtsmarkt hatte sich nach kurzer Zeit allerdings wieder erledigt. Die Standbetreiberin hat Basti nach gut zwei Wochen per WhatsApp gekündigt. Es hat sich schon ein paar Tage vorher angebahnt, da sie einfach aufgehört hat, mit ihm zu sprechen. Natalie hat daraufhin auch hingeschmissen. Wir wissen nicht wirklich, was sie für einen Grund hatte und wir sind beide der Meinung, dass wir keinen schlechten Job gemacht haben. Wahrscheinlich lag es an mangelnder Sympathie, was allerdings alles andere als professionell wäre. Es hat uns zunächst ein bisschen gewurmt, aber im Nachhinein sind wir echt froh, dass es so gekommen ist. Während wir die Kunden bedienten, zogen die Standbetreiber auf deutsch über diese und deren Fragen her. Wir haben uns oft in Grund und Boden geschämt, gerade weil erstaunlich viele Kanadier unsere Sprache verstehen. Die beiden waren sehr unangenehme Menschen. Komischerweise hatten wir diese mit Abstand beschissenste Erfahrung in Kanada mit Deutschen. Wir haben dennoch bei der Arbeit sehr nette Leute kennengelernt, mit denen wir uns noch immer treffen. Das Gute daran ist, dass wir auch wieder mehr Zeit miteinander verbringen können. Das ging aufgrund der Schichtaufteilung während der zwei Wochen kaum. Es war nicht möglich, einmal einen gemeinsamen Tag frei zu bekommen und in den wenigsten Schichten haben wir zusammen gearbeitet. Vielleicht war das aber auch nur Schikane. Am Abend unserer Kündigung sind wir jedenfalls ausgiebig bis in die frühen Morgenstunden feiern gegangen.
Dank einer Anzeige auf Facebook haben wir innerhalb einer Woche einen neuen Job gefunden. Wir arbeiten jetzt als Tellerwäscher in einer ziemlich großen Kneipe im Olympic Village hier in Vancouver. Das Arbeitsklima ist deutlich entspannter und die komplette Belegschaft internationaler Herkunft. Es ist superanstrengend, aber die Arbeitszeit vergeht wie im Flug und es macht richtig Spass. In der ersten Schicht haben wir uns den Waschplatz mit zwei Indern und einem Brasilianer geteilt. Das schult auch gleich unser Englisch wieder ein bisschen. Das hatten wir auf dem von Deutschen dominierten Weihnachtsmarkt ebenfalls vermisst. Außerdem wisst ihr ja, was man über Tellerwäscher sagt. Da kann es mit der Million ja nicht mehr lange dauern.